Mein Platz ist hier - Il mio posto è qui
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Mein Platz ist hier – Il mio posto è qui

Mein Platz ist hier - Il mio posto è qui
„Mein Platz ist hier – Il mio posto è qui“ // Deutschland-Start: 15. Mai 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Es ist paradox: Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat Italien eine weibliche Regierungschefin. Aber genau diese Giorgia Meloni geht nun gegen die Rechte der Frauen vor. Erfreulicherweise macht das Kino zeitgleich Front gegen die Rechtspopulisten. Nach dem Überraschungshit Morgen ist auch noch ein Tag (2023) kommt nun ein weiteres Emanzipationsdrama in die Lichtspielhäuser. Es spielt ebenfalls im Jahr 1946, als in Italien das Frauenwahrecht eingeführt wurde. Und es erzählt von der Bauerstochter Marta (Ludovica Martino), die als alleinerziehende Mutter diffamiert wird. Einzige Rettung wäre die Heirat mit dem deutlich älteren Gino (Antonino Sgrò), auf die Martas Eltern Mariella (Biancamaria D’Amato) und Saverio (Francesco Biscione) drängen. Widerwillig stimmt die junge Mutter zu. Doch dann lernt sie bei den Hochzeitsvorbereitungen den schwulen Lorenzo (Marco Leonardi) näher kennen. Die Begegnung wird alles verändern im naturalistischen Historienfilm, der in seiner zeitgeschichtlichen Detailgenauigkeit erstaunlich viele aktuelle Bezüge nahe legt.

Leuchtende Augen

Sonntags in der Kirche: Marta liest der Gemeinde im Gottesdienst die Geschichte der christlichen Märtyrerin Petronilla vor. Sie tut es mit Freude und Inbrunst, voller Mitgefühl für eine ausgestoßene, verfolgte und gedemütigte Frau. Im Zwischenschnitt sehen wir, wie sie zu Hause den Text studiert, sich auf die öffentliche Lesung vorbereitet, gebannt in das kleine Buch vertieft, die Sätze leise mitsprechend. Und beim Nachhauseweg erhellt sich ihr Gesicht freudig, als sie in ihrer Manteltasche das nächste kleine Heft findet. Es handelt von Maria Magdalena, einer weiteren heiligen Außenseiterin. Es ist Kirchendiener Lorenzo, der ihr heimlich die Schriften zusteckt, obwohl Marta den als schwul geouteten Mann zu diesem Zeitpunkt noch ähnlich abfällig behandelt, wie der Rest des kleinen Dorfes im armen Süden Italiens. Aber Lorenzo ist einfach fasziniert von den leuchtenden Augen Martas, wenn sie liest.

Der Film feiert die kleinen Momente der Lektüre (und später auch des Schreibens) mit zärtlichen Großaufnahmen und einfühlsamen Kamerazufahrten. Und das nicht ohne Grund. Bildung ist der Schlüssel für ein besseres Leben in dieser rückständigen, patriarchalischen Gesellschaft. Zwar weckt das Ende des Krieges große Hoffnungen auf Freiheit und einen grundlegenden Neuanfang, nicht allein für Frauen. Aber nur wer lesen und schreiben kann, ist in der Lage, der Armut zu entfliehen und sich durch Migration ein selbstbestimmtes Leben zu erobern.

Frauenbewegung und queere Gemeinschaft Hand in Hand: Wenn man den Filminhalt so verknappt zusammenfasst, könnte man auf die Idee kommen, das Regie-Ehepaar Cristiano Bortone und Daniela Porto bediene bei der Verfilmung von Daniela Portos gleichnamigem Roman die politische Korrektheit liberaler Intellektueller auf platteste Weise. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mein Platz ist hier – Il mio posto è qui will eine Geschichte erzählen statt zu belehren. Auf die Idee für ihren Roman kam Daniela Porto durch die Erinnerungen ihrer Mutter, die wie die Filmfiguren aus Kalabrien stammt. Sie erzählte der Tochter von einem Homosexuellen, der von allen im Dorf verachtet wurde, aber sich trotzdem mehr Freiheiten herausnehmen konnte als damals die Frauen. Die Autorin und Filmproduzentin begann, das Milieu der bäuerlichen Schwulen und Lesben zu recherchieren, die im faschistischen Italien ebenso wie in der Nachkriegszeit ihre Sexualität nur heimlich ausleben konnten, aber dennoch ihre Treffpunkte hatten, wo Feste gefeiert und Beziehungen geknüpft wurden. Und sie stieß auf die Tatsache, dass später in den 1960er Jahren, als die Frauenbewegung nach der Restauration der 1950er erneut aktiv wurde, Feministinnen und Schwule gemeinsam für ihre jeweiligen Rechte kämpften.

Langsam, aber unaufhaltsam

Die facettenreiche Beziehung zwischen Marta und Lorenzo unterscheidet Mein Platz ist hier – Il mio posto è qui am deutlichsten von Morgen ist auch noch ein Tag von Paola Cortellesi, in dem sich fast alles um die von der Regisseurin gespielten Hauptfigur dreht. Beide Filme griffen übrigens völlig unabhängig voneinander die Thematik der Nachkriegszeit und des Frauenwahlrechts auf. Mein Platz ist hier – Il mio posto è qui befand sich gerade in der Postproduktion, als Morgen ist auch noch ein Tag in die Kinos kam. Auch stilistisch gehen beide eigene Wege. Statt kontrastreicher Schwarz-Weiß-Ästhetik und einer kämpferischen Arme-Leute-Heldin à la Anna Magnani wählen Bortone (Coffee, 2016) und Porto eine leisere, vielleicht auch konventionellere Machart. Sie setzen auf eine möglichst realistische Zeichnung des bäuerlichen Milieus, inklusive einer stillen, noch sehr jungen und oft schweigsamen Heldin, die zunächst ganz eingebettet scheint in den patriarchalen Horizont ihrer Herkunft.

Die Sehnsucht nach einem freieren Leben hält nur langsam Einzug in die Körpersprache und Mimik von Hauptdarstellerin Ludovica Martino, dann aber umso mächtiger und unaufhaltsamer. Irgendwann wird ihr Zusammenspiel mit Marco Leonardi (der als jugendliche Verkörperung der Hauptfigur in Cinema Paradiso, 1988, von Guiseppe Tornatore bekannt wurde) ein Tanz auf Augenhöhe, geprägt von Zuneigung, Neugier, einer Spur Vaterliebe, aber auch Enttäuschung. Gemessen am Spannungsreichtum dieser Beziehung und an den schauspielerischen Leistungen ist es nicht ganz verwegen, wenn das Regiepaar seinen Film mit dem Klassiker Ein besonderer Tag (1977) von Ettore Scola mit Marcello Mastroianni und Sophia Loren vergleicht.

Credits

OT: „Il mio posto è qui“
Land: Italien, Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Cristiano Bortone, Daniela Porto
Drehbuch: Daniela Porto, Cristiano Bortone
Vorlage: Daniela Porto
Musik: Santi Pulvirenti
Kamera: Emilio Maria Costa
Besetzung: Ludovica Martin, Marco Leonardi,  Giorgia Arena, Francesco Biscione, Biancamaria D’Amato, Antonino Sgrò

Bilder

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Mein Platz ist hier – Il mio posto è qui
fazit
„Mein Platz ist hier - Il mio posto è qui“ erzählt von einer alleinerziehenden Mutter, die sich aus der Enge ihrer konservativ-patriarchalischen Herkunft mit Hilfe eines schwulen Kirchendieners befreit. In seinem Frauendrama beleuchtet das Regie-Paar Cristiano Bortone und Daniela Porto auch die bislang kaum bekannte Geschichte der Schwulen und Lesben abseits der großen Städte. Das detailgenau beleuchtete Milieu bildet den Hintergrund für den berührenden Bildungsroman einer Befreiung.
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